Was tun, wenn Island lockt, es auch Charterangebote gibt, sich aber die Erfahrung mit Segeln im rauen Nordatlantik in Grenzen hält? Ausnahmsweise einmal umsteigen von 50 Quadratmeter Segel auf 20.000 PS. Auf den Kreuzfahrer „Albatros“. Versprochen: Es bleibt eine Abenteuerreise.
Die drei japanischen Geländewagen fressen sich die Schotterspur hinauf auf die zentrale isländische Hochebene. Über eine Schlaglochreihe, die sich F 337 nennt. Wir Insassen, für ein paar Stunden ausgebüchst von unserem schwimmenden Komforthotel, das uns noch nach Spitzbergen tragen wird, tauchen ein ins magische Reich des Herrn der Ringe. In eine Lavawüste. Lavahügel, Lavabrocken, Lavaschluchten, Lvaskulpturen, Lavasäulen, Lavagärten, -flora, -bäume: Lavaland ist die eine Hälfte der Insel. Wir fahren ein paar Kilometer auf Islands längster Hochlandroute, der „Sprengisandur“. Die führt durch diese Sciencefiction-Kulisse, die den Phantasiegedanken über die Trolle, die als Fabelwesen isländische Sagen beherrschen, im Guten wie im Bösen, reichlich Nahrung bietet. Die Einheimischen sprechen flüsternd von der „Missetäter-Wüste“: eine unendliche und mystische Einöde zwischen den Gletschern Hofsjökull und Vatnajökull. Kein Vogel, der über uns kreist, kein Hase der vor uns flüchtet. Mangels jeglicher sichtbarer Vegetation – nicht eine einzige genügsame arktische Pflanze – findet hier im Lavameer kein Tierleben statt: Der Niederschlag hält sich in engen Grenzen und im porösen vulkanische Belag verschwindet jeder Regentropfen spurlos.
Auch das ist Island: Rund 300.000 Nordländer leben auf den verschiedenen Inseln des Landes, rund drei Viertel von ihnen in und nahe der Hauptstadt Reykjavik. Faszinierende Landschaften mit viel Wasser – bis über die Autoräder –, aktive Vulkane, breite Täler, die die unzähligen Eruptionen gruben, speiende Seen, dampfende Wiesen und Savannen teilen sich die zweite Hälfte des Grunds. Fischfang, Schaf- und Rinderzucht sowie Islandpferde sind wichtige Überlebensgaranten. Die nördlichste Hauptstadt der Welt ist klimatisch angenehmer als erwartet; zumindest im Sommer. Im Jahre 874 von den beiden Wikingern Ingolfur Arnarson und Hallveig Frodadottir gegründet, wurde sie wegen der vielen heißen unterirdischen Quellen „Rauchbucht“ genannt; Reykjavik. Bis heute versorgen die geothermischen Quellen und ihre Nutzung in Kraftwerken das Land mit Strom und Wärme; es gibt keine Energieimporte in diesen beiden Bereichen.
Zehn Euro fürs Bier
Moderne Architektur verbindet sich mit isländischen Traditionen; Restaurants und Kneipen und Sehenswürdigkeiten gibt es genug. Aber das Leben ist teuer. Rund die Hälfte des Einkommens müsse der Hauptstädter für die Miete aufbringen, so der örtliche Guide. Ein Hauptgericht im Restaurant kostet 30 Euro, das Bier dazu zehn Euro. Ob dabei die Löhne immer Schritt halten? Wohl kaum. Heiße Quellen, Vulkane, Fußball (Überraschungsmannschaft der EM 2016), gute Handballer, Islandpferde und warme Pullover – was macht Island sonst noch aus? Der Strukturwandel hat alle im Land erfasst. Vom früheren Fischerei- und Landwirtschaftsschwerpunkt über ein Zentrum für Banken hin zum Touristenmagnet – Veränderungen, die Spuren hinterlassen. Neue Arbeitsmöglichkeiten, zumindest in den wärmeren Monaten gibt es sie reichlich. Hotels werden aus dem Boden gestampft; zwei Drittel aller Autos auf den Straßen sind Mietwagen, von Touristen gesteuert. Unfälle sind selten, und wenn, seien oft die Gäste aus China schuld daran, meint der lokale Experte, der den deutschen Besuchern beim zweiten Landgang der Schiffsreise Land und Leute erklärt.
Die erste Station der MS Albatros auf ihrer 17-tägigen „Grossen Island-, Spitzbergen-, Norwegen-Kreuzfahrt“ war die Insel Heimaey, südlich der Hauptinsel. Am 23. Januar 1973 ereignete sich dort ein gewaltiger Vulkanausbruch des Eldfell, der mittels TV und Radio-Übertragungen vor den Augen der Weltöffentlichkeit seinen Lauf nahm. Ungeheure Lavamassen wälzten sich auf die einzige Stadt auf den Westmännerinseln zu. Alle rund 4.000 Einwohner konnten in einer dramatischen Aktion mit Fischerbooten von der Insel evakuiert werden, ohne Verluste; nur die Kühe mussten getötet werden.
Ausgegraben aus der Asche
Rund sechs Monate später begannen die Ausgrabungen von jenen Teilen der Stadt, die nur unter einer zwei Meter hohen Ascheschicht begraben wurden. Die anderen Teile sind seitdem unter einer 10 bis 15 Meter dicken Lavaschicht für immer verschwunden. Heute stehen hölzerne Straßenschilder als Erinnerungen in den Lavafeldern und die Wanderwege zeichnen ungefähr den früheren Straßenverlauf nach. Ein beeindruckendes Vulkanmuseum wurde direkt über einem Haus gebaut, das fast zwei Meter hoch mit Asche und Lava überzogen war. Hier dokumentiert man die wilden und unberechenbaren Kräfte der Natur, die Island beherrschen. Eine Wanderung zum Kamm des Kraters aus erstarrtem Magma macht die Wucht des damaligen Ausbruchs deutlich. Nur mit amerikanischen Feuerlöschkanonen konnte er 1973 gestoppt werden und so wurde in letzter Sekunde verhindert, dass der Hafen von der fließenden Lava verschüttet wurde. Sonst gäbe es jetzt kein menschliches Leben auf der Insel mehr. Heute ist Heimaey wieder besiedelt; rund zwei Drittel der Einwohner kehrten damals nach dem Ende der Lavaströme zurück. In der ersten Juliwoche wird jedes Jahr ein Fest gefeiert, das an die Rückkehr und Wiedergeburt der Stadt erinnert.
Cornelia Thorsteinsson ging Mitte der 80er Jahre aus dem Schwäbischen nach Island – aus Neugier und Abenteuerlust. Nach einem erfolgreichen Lehramtsstudiengang blieb nach dem Examen die Aussicht, in Deutschland zehn Jahre lang auf einen Arbeitsplatz warten zu müssen. Daher wollte sie lieber in einem Land, das sonst kaum jemand auf der Besuchsliste hatte, eine neue Lebenserfahrung machen. Island, hoch oben, nördlich der britischen Inseln, verhieß spannende neue Erlebnisse. Aus einem Jahr wurden dreißig, die Liebe ihres Lebens fand sich nach dem ersten Jahr. Wie viele internationale Besucher Islands lernte Cornelia, dass sich die Kernzeiten des rauen Landes in einen dreimonatigen Sommer ohne Dunkelheit und einen langen, und kalten und dunklen Winter für den Rest des Jahres aufteilen.
Von Schwaben nach Akureyri
Erste Joberfahrungen sammelte sie als Aushilfe auf einer Farm, in einer Fischfabrik, später dann als Lehrerin in isländischen Grundschulen, Landwirtin und Expertin für die Wiederaufforstung. Diese Tätigkeitshorizonte erweitert sie im Sommer noch als Reiseführerin für die mittlerweile vielen internationalen Kreuzfahrtschiffe, die die Insel anlaufen.
Drei Millionen Touristen kommen jährlich ins Land; zehn Touristen pro Einwohner. Und die kommen vor allem in den drei Sommermonaten. Das muss erstmal verkraftet werden. Wie Cornelia auf der dritten Landgangsstation im nördlichen Akureyri erzählt, haben die Isländer deshalb fast immer mehrere Jobs zur gleichen Zeit. „Schlafen ? Kann man im Winter,“ lacht sie. Ein Lehrer fährt den Touristenbus, die Landwirtin macht die Reiseführungen für deutsche und englischsprachige Besuchergruppen, die Schulkinder helfen in der Gastronomie und den Hotels oder bei der Gästebetreuung auf den Reiterhöfen. Die Schulen und Universitäten haben drei Monate Sommerferien, die Gebäude werden dann teilweise als Hotels für die Gäste genutzt.
Und wo bleiben die alten Sitten und Traditionen ? „Eg redda pessu = Ich helfe Dir.“ Cornelia meint, das gelte immer noch auf dem Land; außerhalb der Hauptstadt. Die gegenseitige Hilfsbereitschaft ist dort groß, damit konnte man der oft unwirtlichen Natur vieles abtrotzen. Und doch fordert diese immer wieder ihr Recht. Der nächste Vulkanausbruch kommt bestimmt. Die Erde bebt und brodelt, die Geysire, deren allgemeiner Name vom Hauptgeysir in Island abstammt, sprudeln.
Übungsfeld der Astronauten
Und wenn eine Eruption, wie diejenige des Vulkans Eyjafjallajöküll (gesprochen wie geschrieben) im Frühjahr 2010 im Süden, zu tagelangen Ausfällen im internationalen Luftverkehr führt, merkt der Gast aus dem Rest der Welt, welch ungebändigten Einfluß die Natur auf den Lauf der Dinge hier nach wie vor hat. Und nicht nur hier. „Petta redast = Es kommt, wie es kommt.“ Das sagt der Isländer, so oft es geht und es geht oft. Er akzeptiert den Verlauf der Zeiten und Gewalten. Ein Land weit weg von Westeuropa und doch so nah. Grüne Landschaftsbilder wie gemalt, und gleich danach unwirtliche Krater- und Mondlandschaften, in denen die amerikanischen Astronauten Ende der 60er Jahre tatsächlich für die ersten Landungen auf demselbigen üben konnten. Ein Land, immer kurz vor dem nächsten Vulkanausbruch, aber mit ungeheurem Lebenswillen und mit stolzen Bewohnern: Petta redast !