Auffahrunfälle gehören zu den häufigsten Ursachen für ein Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule (umgangssprachlich „Schleudertrauma“). Eigentlich keine große Sache, sollte man meinen. Ein paar Tage lang Nackenschmerzen und dann ist alles vergessen. Doch zwölf von 100 Betroffenen haben noch sechs Monate nach dem Unfall Beschwerden, eine Chronifizierung ist also kein seltenes Phänomen.
Ein unaufmerksamer Moment, der nachfolgende Wagen fährt auf, wenig später schmerzt der Nacken. Die meisten Beschleunigungstraumata der Halswirbelsäule sind als leicht bis moderat einzustufen, schwere Verletzungsfolgen bleiben in der Regel aus. Dennoch: Es kommt zu muskelkaterähnliche Nackenschmerzen und Nackensteife, was für die Betroffenen sehr unan¬genehm sein kann. Denn neben den Schmerzen kann es auch zu Schwindel, Tinnitus (Ohrensausen) oder Kopf- und Kieferschmerzen kommen.
Bei den meisten Betroffenen gehen die Beschwerden nach einigen Tagen zurück. Doch bei etwa 12 % der Patientinnen und Patienten werden diese Beschwerden chronisch.
Die Rolle der Psyche
Die Gefahr der Schmerzchronifizierung in Folge einer HWS-Beschleunigungsverletzung ist also gegeben, und eine Leitlinie konzentriert sich daher auch auf Strategien, einer Chronifizierung entgegenzuwirken. So sollten ein traumatisches Erleben des Unfalls z. B. im Sinne einer akuten Belastungsreaktion nach dem Unfall ebenso wie psychische Störungen in der Vorgeschichte vom behandelnden Arzt miterfasst werden, da es sich hierbei um Risikofaktoren für die Entwicklung chronischer Schmerzen handle. Psychische Komorbiditäten sollten abgeklärt und ggf. behandelt wer-den – beispielsweise seien Menschen mit Depression deutlich gefährdeter, chronische Schmerzerkrankungen zu erleiden. „Für eine erfolgreiche Therapie spielen Verhalten, Erwartungen und Einstellungen des Patienten, aber auch des Therapeuten eine wesentliche Rolle. Es ist deshalb wichtig, auf bestimmte Risikofaktoren zu achten: etwa dysfunktionale Schmerzbewältigungsstrategien oder eine depressive Stimmungs¬lage“, erklärt Prof. Tegenthoff.
Interdisziplinäre Therapie
Kommt es zu einem langwierigen und komplizierten Verlauf, empfehlen die neuen Leitlinien eine inter¬disziplinäre multimodale Therapie, in der die medi¬kamentöse Behandlung, z.B. mit Antidepressiva, und eine kognitive Verhaltenstherapie und Physiothera¬pie kombiniert werden. „Zwar fehlen noch definitive Wirksamkeitsbeweise des multimodalen Ansatzes, aber die Erfolge in der Praxis sind sehr gut, so gut, dass auch viele Unfallversicherer zu dieser Therapie, die aktuell überwiegend in Spezialambulanzen und Schmerzkliniken angeboten wird, raten.“